Bauernproteste im Harz - das langersehnte Szenario der rechtsextremen Szene?

Bauernproteste im Harz – das langersehnte Szenario der rechtsextremen Szene?

von Peter P.
in Neonazis, Querdenken
an Januar 8, 2024

Es ist der 27. Januar 2020. Die Welt hält den Atem an. In Deutschland wird an diesem Tag der erste Fall des neuen Corona-Viruses nachgewiesen. Weniger als 3 Monate später findet in Stuttgart die erste Demonstration aus dem Querdenken-Spektrum statt. Im Sommer 2020 ist die Querdenken-Bewegung dann auch im Harz, zum Beispiel Quedlinburg, angekommen. Schnell formierte sich auch Gegenprotest. Das „Bündnis Bunter Harz“ veranstaltete wöchentliche Gegendemonstrationen und zeigte auf, wie der Querdenken-Protest in Quedlinburg systematisch von Reichsbürger:innen und Neonazis unterwandert wurde. Zum Ende des Jahres 2020, als die Demonstrationen in Quedlinburg bereits beendet waren, warnten dann auch die Medien davor – der Tagesspiegel schreibt zu der Zeit: „Rechtsextremisten steuern die Corona-Proteste zum Teil schon“.¹ Auch im naheliegenden Halberstadt formierte sich ab Dezember 2021 großer Protest. Während in Quedlinburg zu Hochzeiten zwischen 100 und 200 Querdenker:innen, Reichsbürger:innen und Neonazis zusammen demonstriert haben, waren es in Halberstadt zu Hochzeiten mehrere Tausend. Und auch dort wurde der Protest sehr schnell unterwandert – in diesem Fall von lupenreinen Neonazis der „Harzrevolte“ (demos-im-harz.de berichtete mehrmals)² ³. So haben jeden Montag mehrere Neonazis die Demonstration mit ihrem Banner angeführt.

Mit Fackeln und Pyrotechnik führten die Neonazis der Harzrevolte jede Woche die Proteste in Halberstadt an. Im Januar 2023 verkündeten sie überraschend ihre Auflösung (laut verschiedenen Kreisen durch interne Streitigkeiten, das Team hinter demos-im-harz.de geht jedoch eher von der Gefahr einer Anklage nach §129 aus, welche durch die Auflösung umgangen werden sollte).⁴

Über die Jahre wurde das Thema Corona immer weniger von den Medien thematisiert. Die Maßnahmen wurden mit der Zeit aufgehoben – die Teilnehmer:innen-Zahlen stagnierten von Woche zu Woche. Während sich 2023 der Protest in Quedlinburg in eine reine Reichsbürger:innen Demo umgewandelt hat, an der sich im Sommer 2023 maximal 30 Menschen und im Winter 2023 niemand beteiligte (demos-im-harz.de berichtete)⁵, hatten die Halberstädter:innen in den letzten Monaten zwischen 30 und 80 Teilnehmende. Für die Szenen beider Städte vermutlich eine Enttäuschung, wenn man es mit der Anfangszeit vergleicht. Immer mehr, vor allem radikalere Kräfte, wendeten sich vom Protest ab. Es blieb in Quedlinburg ein Haufen Reichsbürger:innen übrig, in Halberstadt eine etwas größere Menge an größtenteils Querdenker:innen und Verschwörungsideolog:innen (demos-im-harz.de berichtete).⁶ Und so war es nur eine Frage der Zeit, bis sich die rechtsextremen Kräfte von AfD, über Harzrevolte bis zum dritten Weg ein neues Thema suchen, um ihrer Vision vom Tag X und der Abschaffung der Demokratie ein Stück näher zu kommen.

Kein Wunder also, dass am 08.01.2024, dem Beginn der „Bauernproteste“ auf Grund der geplanten Kürzungen im Agrarbereich, die Alternative für Deutschland eine „Großdemo“ auf dem Marktplatz von Quedlinburg veranstaltete. Geworben wurde dafür primär in den lokalen Facebook-Gruppen der Städte, weder auf der Facebookseite des Kreisverbandes Harz, noch auf der dazugehörigen Website findet sich Werbung.⁷

*Der Admin einer (unpolitischen) Facebookgruppe informierte über die Demonstration auf dem Marktplatz.* (Quelle: Facebook-Screenshot)

Als bekannte Gesichter und Stellvertreter der Partei war neben Martin Reichardt, familienpolitischer Sprecher der AfD in Sachsen-Anhalt, und Jan Wenzel, MdB, auch Silvio Lechte aus dem Kreisverband Harz vor Ort. Während Silvio Lechte vor etwas weniger als 10 Jahren noch auf Neonazi-Demos im Harz unterwegs war und die Partei „die Rechte“ unterstützt hat, hat er während der Coronapandemie die Querdenken-Demos in unterschiedlichsten Städten im Harz besucht (demos-im-harz.de berichtete)⁸, sich zwischenzeitlich zurückgezogen, die Partei die Basis unterstützt und ist im AfD Kreisverband Harz aktiv geworden.

*Silvio Lechte (AfD Kreisverband Harz, früher bei „Kollektiv Nordharz“, Europäische Aktion, die Basis & die Rechte)*⁹

Neben Silvio, der perfekt zeigt, wie die AfD als Sammelbecken für rechte Kreise fungiert, waren auch Rechtsextreme der aufgelösten Gruppierung Harzrevolte vor Ort. Ebenso die Reichsbürger:innen, die bis zum Herbst 2023 jeden Montag demonstrierten, anschließend aber nicht mehr erschienen sind, waren wieder auf der Straße und hatten ihren Banner direkt neben dem Stand der AfD platziert. Zu stören schien das keinen.

*Der Stand der AfD auf dem Marktplatz. Ganz links der Banner „Schluss mit der Politik gegen das eigene Volk“, der der lokalen Reichsbürger:innen-Szene zuzuordnen ist.*

Und so sprachen die Redner:innen munter vor einem dreistelligen Publikum aus Reichsbürger:innen, Neonazis, Verschwörungsideolog:innen und einigen Menschen, die keinem Spektrum zuzuordnen waren. Darunter auch einige augenscheinliche Handwerker – das einzige gesichtete Arbeitsgerät an diesem Tag war jedoch ein LKW der AfD-Partei.

Eine Gruppe von Demonstrierenden auf dem Marktplatz. Darunter auch lokal-bekannte Reichsbürger:innen. Auch das Vermummungsverbot wurde an diesem Tag eher mangelhaft durchgesetzt – mehrere Teilnehmende waren bis zu Unkenntlichkeit vermummt.

Und auch in Halberstadt ist der Protest nicht wirklich von der verschwörungsideologischen Szene abgekoppelt. Denn anstatt tagsüber mit Traktoren zu demonstrieren, planten die Verantwortlichen der Szene eine Demonstration für den 08.01 auf dem Halberstädter Marktplatz. Und das um 19 Uhr. Kein Zufall, denn zur gleichen Zeit findet am gleichen Ort – für die lokalen Querdenker:innen optimal – die wöchentliche Demonstration der Verschwörungsideolog:innen und Querdenker:innen statt. So hatten Bäuerinnen und Bauern aus der Umgebung, neben Blockaden der Straßen, nur diese Option in Halberstadt, um ihren Unmut (demokratisch) auf die Straße zu bringen. Und es funktionierte: Anstatt dass die Demo die üblichen 30 bis 80 Teilnehmer:innen zählt, sind es an diesem Montag über 1000. Und an einem Redner, der die Ampelregierung zum „Teufel jagen“ und auf dem „Schrotthaufen der Geschichte“ sehen will, störte sich vor Ort offensichtlich auch niemand. Der gleiche Redner rief natürlich auch dazu auf, nächsten Montag erneut um 19 Uhr zu demonstrieren.

Werbung im Telegram Kanal der Querdenken-Szene Halberstadt für die Demonstration am 08.01.2024. Mit dem Aufruf wird versucht, die breite Bevölkerung unter dem allgemeinen Ziel „Politik für das eigene Volk“ anzusprechen.

Neben der lokalen Mobilisierung in Quedlinburg und Halberstadt, wird den Protestierenden auch überregional geholfen, ihren Protest zu verbreiten. Die Neonazipartei „der dritte Weg“ wirbt in ihren Kanälen offensiv für den Bauernprotest, verbreitet Protestkarten, Demotermine und Telegram-Gruppen. Die AfD ist also nicht die einzige Partei, die sich auf der Seite der Bäuerinnen und Bauern sieht.

Kommentar vom Autor: Es bleibt abzuwarten, ob rechte Gruppen und Einzelpersonen es wie so oft im Harz erneut schaffen, regelmäßig Bürger:innen mit ihren berechtigten Sorgen und Forderungen abzugreifen und unter dem Deckmantel des gemeinsamen Feindes für rechtsextreme, rechtspopulistische und verschwörungsideologische Inhalte zu begeistern. In Quedlinburg ist die Gefahr dafür eher gering, da die Veranstaltung der AfD vermutlich einmalig war und die lokale Reichsbürger:innen-Szene so gut wie kein Mobilisierungspotential mehr hat. Im Gegensatz dazu ist die Gefahr in Halberstadt, dass Bürger:innen mit berechtigten Sorgen und Ängsten nur in der verschwörungsideologischen und rechtsoffenen Szene Gehör finden, durch wöchentliche Demonstrationen und ein größeres Mobilisierungspotential deutlich höher. Es folgen einige weitere Bilder aus Quedlinburg